Die Frage der Widmung einer Straße nach Albin Ritzmann führte im Stadtrat von Eisfeld zu kontroversen Stellungnahmen. Die Linke und die SPD lehnten die Straßenwidmung mit den Argumenten ab, dass Albin Ritzmann
Mit diesen Argumenten wollen wir uns an dieser Stelle etwas näher beschäftigen.
Mitgliedschaft in der NSDAP
Albin Ritzman ist 1937 in die NSDAP eingetreten. Welche Motive ihn dazu bewogen haben, darüber kann heute nur spekuliert werden. Er könnte aus Gründe der Opportunität gehandelt haben oder es
könnte auch ein Nachgeben gegenüber dem vom System ausgeübten Druck sein. Nur belegt die Mitgliedschaft keinesfalls, dass A. Ritzmann ein Anhänger und glühender Verfechter nationalsozialistischer
Ideologie war. Das Gegenteil lässt sich belegen.
In einem Schreiben an den Landrat des Kreises Hildburghausen schreibt Erich Bähr (ehemaliger Mitarbeiter des Ritzmann-Werkes) von sich aus und unaufgefordert am 22. Nov. 1945:
"... im Sommer 1943 fand eine Sitzung im Betrieb statt. Hier waren der ehemalige Ortsgruppenleiter Müller von der Nazipartei, der Kreisobmann Dötsch von der Arbeitsfront und noch verschiedene Herren zugegen. Über mich wurde nun folgendes verhandelt: Aufgrund meiner politischen Einstellung und angeblich als Halbjude sollte ich in ein Konzentrationslager gebracht werden. (...)
Herr Ritzmann hat nun mit allen Mitteln dagegen gearbeitet, und er hat mich auch sofort davon in Kenntnis gesetzt, wie ich mich zu verhalten habe, damit diesen Schurken ihr Vorhaben nicht gelang. Gott sei Dank ist es ihnen auch nicht gelungen, was einzig und allein nur meinem Chef (gemeint ist A. Ritzmann) zu verdanken ist. Vielleicht habe ich ihm sogar mein Leben zu verdanken. (...)"
Die Belegschaft des Ritzmann-Werkes gab am 20. Nov.1945 eine Stellungnahme durch die Betriebsräte Julius Otto und Paul Hess ab:
"... Soweit wir seine politische Einstellung kennen, war er nie ein aktiver reger Nazi, sondern wir können gerade das Gegenteil bezeugen, daß er ja durch seine weitreichenden Geschäftsverbindungen und getätigten Geschäfte nie ein Nazi sein konnte. (...)"
Als Geschäftsmann hatte A. Ritzmann private und geschäftliche Kontakte zu Juden. Er vertrat in diesem Zusammenhang keineswegs die Rassenideologie des Nationalsozialismus,
sondern behandelte seine jüdischen Bekannten und Geschäftsfreunde auch nach der
Machtergreifung als Menschen. So schreibt am 23. Juli 1946 Hugo Rehbeck, ein
ehemaliger Geschäftsfreund und guter Bekannter der Familie aus den Zeiten, in
denen die Ritzmanns noch in Oberschönau lebten, dass er Ritzmann zu Zeiten des
Naziregimes um Rasiermaterial gebeten hatte und fährt dann fort:
„(..) Ich bekam nicht nur, was ich mir von ihm wünschte, sondern er übersandte es mir mit einem herzlichen liebenswürdigen Schreiben, voraus ich ersah, dass er trotz des
jahrelangen Getrenntseins mir der alte Freund und Gönner geblieben war. Herr Schönthal, welcher durch den Naziterror sein Leben einbüßte, versicherte mir, daß Herr Ritzmann kein Nazianhänger
sei, sondern ein echter Demokrat geblieben sei, was er schon immer gewesen.“
Herr Rehbeck weist in diesem Brief an den Bürgermeister der Stadt Eisfeld darauf hin, dass er jüdischen Glaubens sei und ein Opfer des Faschismus wäre.
Eine Buchhalterin sagte 1946 aus, dass Ritzmann von seinem Privatkonto seine Parteibeiträge bezahlt habe. Darüber hinaus auch für das Winterhilfswerk gespendet habe, aber nie Beiträge an die SS geleistet worden seien.
Diese Dokumente können alle im Thüringischen Hauptstaatsarchiv in Weimar eingesehen werden.
Zu ähnlichen Schlussfolgerungen kommt der Stadtchronist Klaus Pfrenger in seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Stadt Eisfeld unter dem Titel "Albin Ritzmann - der Ehre wert?".
Beschäftigung von Zwangsarbeitern
1930 definierte die Internationale Arbeitsorganisation Zwangsarbeit als „unfreiwillige Arbeit oder Dienstleistung. (vgl. Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/Zwangsarbeit).
Während des zweiten Weltkrieges befanden sich Millionen Menschen als Zwangsarbeiter auf dem Gebiet des Deutschen Reiches. Dabei konnte es sich um Häftlinge aus Konzentrationslagern, Kriegsgefangene, verschleppte Menschen aus den besetzen Gebieten – insbesondere aus Osteuropa und Russland – handeln. Der Einsatz der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen erfolgte in vielen Bereichen, von der Landwirtschaft über die Industrie, bis hin zu öffentlichen Institutionen, ja Kirchen und Privatpersonen. Ebenso vielfältig
waren die Motive:
(Vergl. Wikipedia, https://de.wikipedia.org/wiki/NS-Zwangsarbeit)
Dennoch kann aus der Anforderung und Beschäftigung von Zwangsarbeitern ein moralisches
Urteil oder ein Urteil über die politischen Überzeugungen der „Anfordernden“ nicht gefolgert werden. So schreibt das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln über die Situation in Köln:
„Es gab kaum einen Betrieb in Köln, der nicht vom Einsatz der Zwangsarbeiter Gebrauch machte und sich deshalb aktiv um die Zuweisung von ausländischen Arbeitskräften bemühte. Auch für die Kölner Wirtschaft galt: Ohne Ausländerinnen und Ausländer hätten die Betriebe während der Kriegsjahre ihre Produktionskapazitäten weder sichern noch ausbauen können. In einigen Betrieben betrug der Anteil der Zwangsarbeitskräfte bis zu 50 Prozent der Belegschaft. (…)“ (https://museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/default.aspx?s=395)
In Eisfeld lebten während des zweiten Weltkrieges über 700 „ausländische Arbeiter- und Arbeiterinnen“ . Davon waren aber nur 105 im Ritzma-Werkeingesetzt (Juli 1943). (Vergl. Klaus Pfrenger im Amtsblatt der Stadt Eisfeld, 1/2017, S. 13: https://www.stadteisfeld.de/amtsblatt/index.php#gazette_32012)
Dieser Einsatz war sicher vor allem der Tatsache geschuldet, dass die Produktion sichergestellt werden musste. Zumal ab 1943 Ritzmann gezwungen war, mit Ausnahme der Rasierklingen nur noch für die Rüstung zu produzieren. Die Umstellung auf die
Rüstungsproduktion war auch mit einem Beschäftigtenanstieg verbunden, der ein Hinweis sein könnte, dass die Produktionsziele für die Rüstung sehr anspruchsvoll gesetzt worden waren.
Dennoch lässt sich heute noch belegen, dass A. Ritzmann sich für einen menschlichen Umgang mit den „Fremdarbeitern“ im Rahmen seiner Möglichkeiten einsetzte. So schreibt der schon oben zitierte ehemalige Mitarbeiter Bähr: „Was die Behandlung der ausländischen Arbeitskräfte anbetrifft, so kann man nur sagen, daß sich Herr Ritzmann ihnen gegenüber als Mensch gezeigt, sei es bei der Herbeischaffung von Lebensmitteln oder Kleidung usw. Er ist auch stets freundlich und gut zu ihnen gewesen. Als die Leute in ihre Heimat zurückkamen, ist fast jeder auf Herrn R. zu und hat ihm die Hand gereicht. Dies beweist alles.“
Das oben schon gleichfalls angeführte Schreiben der Betriebsratsvorsitzenden lässt darüber hinaus erkennen, dass A. Ritzmann versuchte, die Belegschaft als Ganzes zu sehen und die Abhängigkeit der „ausländischen Arbeitskräfte“ nicht ausnutzen wollte: (…) “Mit uns seinen Arbeitern und Angestellten, sowie auch mit den während des Krieges beschäftigten ausländischen Arbeitskräften hat sich Herr Ritzmann immer solidarisch und gemeinsam gefühlt, so daß das beste Einvernehmen zwischen Gefolgschaft und Betriebsführung bestanden hat. Auch jetzt war er stets bemüht, sich für unser Wohl einzusetzen. (…)“
So wurden die „ausländischen Arbeiter und Arbeiterinnen“ ebenso wie die Stammbelegschaft in der Kantine des Werkes versorgt. Wenn im Wikipediaartikel zur Zwangsarbeit festgestellt wird, dass die ′Ostarbeiter (…) gezwungen (waren), „auch im Winter unbeschuht zur Arbeit zu gehen“ ′(https://de.wikipedia.org/wiki/Zwangsarbeit#Zweiter_Weltkrieg), so galt dies für das Ritzmann Werk nicht. A. Ritzmann konnte zwar keine Schuhe beschaffen, sorgte aber mehrfach dafür, dass auch die Ostarbeiter „Holzpantinen“ erhielten.
Die Beschäftigung von Zwangsarbeitern muss im Kontext der Zeit gesehen werden. Nicht die Tatsache des Einsatzes von Zwangsarbeitern als solches, kann die Grundlage für eine moralische Verurteilung sein, sondern neben der Motivlage müssen vor allem der Umgang mit diesen Menschen Grundlage für die Beurteilung sein. Dass dies aus heutiger Sicht nicht immer ganz leichtfällt, ist naheliegend. Im Fall von Albin Ritzmann verfügen wir allerdings über Dokumente, die belegen, dass die Beschäftigung nicht die Ausbeutung zum Ziel hatte und damit die Motivation folglich nicht in einem ausufernden Gewinnstreben lag, sondern Ritzmann wollte unter den erschwerten Bedingungen der Kriegswirtschaft das Unternehmen sichern.
Wäre die Beschränkung auf die Klingenproduktion und damit ein möglicher Verzicht auf den Einsatz von Zwangsarbeitern eine wirkliche Alternative gewesen? Unter den damaligen Bedingungen konnte er nicht wissen, wie lange eine solche Entscheidung bestand gehabt hätte. Er möglicherweise bald gezwungen worden wäre, auch die Klingenproduktion einzustellen. Welche Auswirkungen hätte eine derartige Beschränkung der Produktion auf den Maschinenpark gehabt? Hätte die Gefahr einer Beschlagnahme bestanden? Und nicht zuletzt, welche Chance hätte das nationalsozialistische Regime nach einem möglicherweise siegreichen Kriegsende einem Unternehmen eingeräumt, dass sich bewusst der Rüstungsproduktion entzogen hatte? Sowohl für das Überleben des Betriebes als auch für die Eisfelder Beschäftigten musste aus damaliger Sicht die Entscheidung für die Rüstungsproduktion als das kleinere Unheil erschienen sein.
Die Beschäftigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter war in diesem Zusammenhang ein notwendiges Übel, dass es aber auch ermöglichte, den mehr als 300 Eisfeldern ihren Arbeitsplatz zu erhalten.